Zu der Frage der Aussetzung des Zivilverfahrens im Hinblick auf ein laufendes Strafverfahren

vorgestellt von Thomas Ax

Der Zweck der Regelung des § 149 ZPO besteht u.a. darin, eine einheitliche Tatsachengrundlage für die im Zivil- und Strafverfahren zu treffenden Entscheidungen zu schaffen. Dabei liegt eine Straftat, deren Ermittlung gem. § 149 ZPO „auf die Entscheidung von Einfluss“ ist, vor, wenn durch die Aufklärung des Sachverhalts mit den Mitteln des Strafrechts, insbesondere im Rahmen durchzuführender Beweisaufnahmen, für das Zivilverfahren eine breitere Tatsachengrundlage geschaffen wird, wobei die Verzögerung des Zivilprozesses gegen den möglichen Erkenntnisgewinn abzuwägen ist. (Rn. 19)

OLG München, Beschluss vom 27.01.2022 – 8 W 1818/21

Gemäß § 149 Abs. 1 ZPO kann das Gericht die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist.

Aufgrund einer solchen gerichtlichen Ermessensentscheidung soll der Ausgang eines Strafverfahrens abgewartet werden können, um dessen bessere Erkenntnismöglichkeiten, die die Amtsermittlung im Strafprozess gegenüber dem Zivilprozess mit seinem Beibringungsgrundsatz bietet, nutzbar zu machen und widersprechende Entscheidungen zu vermeiden.

Der Zweck der gesetzlichen Regelung besteht u.a. darin, eine einheitliche Tatsachengrundlage für die im Zivil- und Strafverfahren zu treffenden Entscheidungen zu schaffen. Dabei liegt eine Straftat, deren Ermittlung gemäß § 149 ZPO „auf die Entscheidung von Einfluss“ ist, vor, wenn durch die Aufklärung des Sachverhalts mit den Mitteln des Strafrechts, insbesondere im Rahmen durchzuführender Beweisaufnahmen, für das Zivilverfahren eine breitere Tatsachengrundlage geschaffen wird. Das Gericht muss die Verzögerung des Zivilprozesses gegen den möglichen Erkenntnisgewinn abwägen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 149 ZPO Rn. 1 ff.).

Zwar sind auch nach Abschluss eines die Aussetzung rechtfertigenden Strafverfahrens weder eine doppelte Beweisaufnahme noch sich widersprechende Entscheidungen völlig ausgeschlossen, da das Zivilgericht an die im Ermittlungs- bzw. Strafverfahren gewonnenen Erkenntnisse nicht gebunden ist.

Dennoch ist die im Strafverfahren vorzunehmende Beweisaufnahme etwa durch Sicherstellung von Unterlagen oder Korrespondenz zu Geschäftsabläufen und zu Kontakten zwischen den beteiligten Personen, durch Vernehmung von Zeugen hierzu und zur Geschäftspraxis sämtlicher involvierter, z.T. ausländischer Gesellschaften sowie durch Überprüfung von Geldflüssen anhand von Kontounterlagen, die nach der Strafprozessordnung sichergestellt werden können – geeignet, einen Erkenntnisgewinn zu verschaffen, der die zivilgerichtlichen Möglichkeiten bei weitem übersteigt. Insbesondere können Unterlagen, deren Beschaffung dem Zivilgericht oder den Parteien des Zivilverfahrens außerhalb des Ermittlungs-/Strafverfahrens nicht möglich wäre, auch im Zivilprozess Gegenstand der Beweiswürdigung sein.

Im Rahmen der gebotenen Abwägung berücksichtigt das Gericht, dass sowohl die Klagepartei als auch die Beklagten ein achtenswertes Interesse an einem möglichst zügigen Abschluss des Zivilverfahrens haben. Andererseits ist das Gericht bestrebt, den Zivilrechtsstreit möglichst prozessökonomisch zu führen und doppelte Ermittlungsarbeit sowie zusätzliche Kosten zu ersparen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17.11.2009 – VI ZB 58/08).

Hinzu kommt, dass umso wertvollere Ergebnisse für das Zivilverfahren zu erwarten sind, je aufwendiger sich die strafrechtliche Aufklärung gestaltet.

Wahrscheinlich ist zu erwarten, dass die zwischen den Parteien streitigen Fragen – insbesondere die Rolle der Beteiligten und deren Kenntnisse – auf deren Feststellung es im Zivilverfahren maßgeblich ankommt, im Ermittlungs- und ggf. Strafverfahren geklärt werden, so dass eine nochmalige oder gar parallele Klärung dieser Umstände in den beim Landgericht in hoher Anzahl anhängigen Zivilverfahren erspart wird.

Insoweit wird der Nachteil der Verzögerung einer Entscheidung im Zivilprozess im Rahmen einer Abwägung durch den Vorteil einer gründlicheren Klärung im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz im Ermittlungs- und ggf. Strafverfahren aufgehoben.

Im Ergebnis wird im Rahmen der vorzunehmenden Ermessensabwägung der Vorteil einer gründlicheren Klärung im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz im Strafverfahren den Nachteil der Verzögerung einer Entscheidung im Zivilprozess überwiegen.

Dies gilt nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Vermeidung widerstreitender Entscheidungen.

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