Das Vergaberecht findet sowohl auf die Beschaffung des Verwaltungsbedarfs einer Krankenkasse als auch auf ihre selektivvertragliche Beschaffung medizinischer Waren und Dienstleistungen Anwendung. Zu beachten ist schließlich: § 69 Abs. 4 SGB V n.F. (durch das 2. Buchpreisbindungsgesetz vom 31.7.2016): Bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach den §§ 63 [= Modellvorhaben] und 140a [besondere Versorgung = integrierte und besondere ambulante ärztliche Versorgung] über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden, kann der öffentliche Auftraggeber abweichend von § 119 Abs. 1 und § 130 Abs. 1 Satz 1 GWB sowie von § 14 Abs. 1 bis 3 der VgV andere Verfahren vorsehen, die die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gewährleisten. Ein Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherige Veröffentlichung nach § 66 VgV darf der öffentliche Auftraggeber nur in den Fällen des § 14 Abs. 4 und 6 VgV vorsehen. Von den Vorgaben der §§ 15 bis 36 und 42 bis 65 VgV, mit Ausnahme der §§ 53, 58, 60 und 63, kann abgewichen werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 17. April 2019 über die Anwendung dieses Absatzes durch seine Mitglieder. Leider werden immer noch und immer wieder Beschaffungen ohne Einhaltung der insoweit geltenden vergaberechtlichen Maßgaben durchgeführt.
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Es gilt 4. Kapitel des SGB V sowie die §§ 63, 64
§ 69 SGB V ordnet an, dass das 4. Kapitel des SGB V sowie die §§ 63, 64 die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern abschließend regelt. Abs. 3: „Auf öffentliche Aufträge nach diesem Buch sind die Vorschriften des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzuwenden.“ (Rechtsgrundverweisung) Abs. 4: Sonderregelung für sog. hauseigene Verfahren für Selektivverträge nach dem SGB V. Das Vergaberecht findet wie bislang auch sowohl auf die Beschaffung des Verwaltungsbedarfs einer Krankenkasse als auch auf ihre selektivvertragliche Beschaffung medizinischer Waren und Dienstleistungen Anwendung, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen (Eröffnung des persönlichen und sachlichen Anwendungsbereichs und Erreichen des Schwellenwertes) erfüllt sind.
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Rechtsgrundlagen sind:
Europäisches Vergaberecht – Primärrecht: keine speziellen Regelungen über das öffentliche Auftragswesen, nur allgemeine Maßstäbe wie z.B. die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (Artt. 49 und 56 AEUV), das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art.18 AEUV), … à Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz – Zur Harmonisierung der Vergabeverfahren in den Mitgliedsstaaten: seit Ende der 60er Jahre vergaberechtliche Richtlinien (Sekundärrecht) Vergaberechtsreform 2014 – RL 2014/23/EU 26.2.2014 über die Konzessionsvergabe (Konzessionsrichtlinie), – RL 2014/24/EU vom 26.2.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe (Vergaberichtlinie) sowie – RL 2014/25/EU vom 26.2.2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (Sektorenrichtlinie). – Geblieben sind: Rechtsmittel-Richtlinien – Ziel: binnenmarktadäquate Weiterentwicklung des Vergaberechts, Vereinheitlichung, Vergabeverfahren sollten einfacher, flexibler und effizienter gestaltet (KMU), Öffnung des Vergaberecht für strategische (ehemals „vergabefremde“) Ziele, wie Qualität, soziale Aspekte, Ökologie und Innovationen, Rechtssicherheit durch die Kodifizierung von richterrechtlich geprägter (Ausnahme-)Bereiche
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Umsetzung des europäischen Richtlinienpaketes in deutsches Recht ist erfolgt:
durch das VergRModG vom 17.2.2016 sowie die VergRModV vom 12.4.2016 – weitgehend 1 : 1 – unter Fortbestand der Zweiteilung in Ober- und Unterschwellenbereich – (grundsätzlich*) innerhalb des Kaskadenmodells: – Gesetz = 4. Teil GWB – Vergabeverordnungen = VgV, KonzVgV, SektVO, VergStatVO – Verdingungsordnungen = VOL/A 1. Abschn., VOB/A) – innerhalb der 24monatigen Umsetzungsfrist – Anpassung der Unterschwellenvergabe durch die (haushaltsrechtliche) UVgO vom 2.2.2017 – *soll die VOL/A 1. Abschn. ersetzen à 3stufigen Kaskadenmodells nur noch bei Bauleistungen – Muss durch Anwendungsbefehl, sog. Einführungserlasse (ganz oder teilweise) in Kraft gesetzt werden (Gefahr: Zersplitterung) durch Bund / Länder / Gemeinden – Inhaltliches Ziel: einheitliche Ausgestaltung der Regelungen für den Ober- und Unterschwellenbereich (Vermeidung von Unstimmigkeiten / Anpassung) – Strukturell: Orientierung an der VgV.
Neben den öffentlichen Auftraggebern fallen nun auch (Bau- und Dienstleistungs-)Konzessionsgeber in den persönlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts. Öffentlicher Auftraggeber: Bei Krankenkassen handelt es sich um juristische Personen des öffentlichen Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art auszuüben und die überwiegend staatlich finanziert werden – und somit um öffentliche Auftraggeberinnen i.S.v. § 99 Nr. 2 lit. a GWB (EuGH Urt. v. 11.6.2009, Rs. C-300/07 – Oymanns). Konzessionsgeber: Als öffentliche Auftraggeberinnen sind sie im Falle einer Konzessionsvergabe demnach auch Konzessionsgeberinnen i.S.v. § 101 Abs. 1 Nr. 1 GWB.
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Vorliegend handelt es sich um:
eine soziale Dienstleistung – Definition (§ 130 Abs. 1 S. 1 GWB): „Dienstleistungen i.S.d. Anhangs XIV zur RL 2014/24/EU.“ – CPV-Codes (Common Procurement Vocabulary = europaweit einheitliche Klassifizierungssystem) – u.a. 75300000-9: Dienstleistungen im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung à selektivvertragliche Vertragsmodelle nach dem SGB V – keine Waren à keine Arzneimittelrabattverträge, i.d.R. keine Hilfsmittelverträge.
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Schwellenwert für soziale und andere besondere Dienstleistungen ist:
750.000 €
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Im Bereich Oberschwelle [Aus europäischer Sicht: Ausnahme, für die GKV: Regel] bedeutet das:
– freie Wahl zwischen den zulässigen Verfahrensarten (Ausnahme: Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb), § 130 Abs. 1 GWB, § 65 Abs. 1 VgV
– vereinfachte Auftrags- und Vergabebekanntmachungspflichten, § 66 VgV – Mindestfristen für Angebote und Teilnahmeanträge: können gekürzt werden, 15 Tage sollen nicht unterschritten werden, § 65 Abs. 4 VgV – past performance (Erfolg und die Qualität bereits erbrachter Leistungen des Bieters oder des vom Bieter eingesetzten Personals) kann Eignungs- oder Zuschlagskriterium sein, § 65 Abs. 3 VgV – Rahmenvereinbarungen: sechs (statt vier) Jahre zulässig, § 65 Abs. 2 VgV
– Auftragsänderung: neues Vergabeverfahren bei wesentlicher Änderung: Änderung Gesamtcharakter oder Wert der Änderung ab 20 (statt 10) %, § 130 Abs. 2 GWB Unterschwelle – Ggf. europäisches Primärrecht + nationales Haushaltsrecht (s.o)
Zu beachten ist schließlich: § 69 Abs. 4 SGB V n.F. (durch das 2. Buchpreisbindungsgesetz vom 31.7.2016): Bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach den §§ 63 [= Modellvorhaben] und 140a [besondere Versorgung = integrierte und besondere ambulante ärztliche Versorgung] über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden, kann der öffentliche Auftraggeber abweichend von § 119 Abs. 1 und § 130 Abs. 1 Satz 1 GWB sowie von § 14 Abs. 1 bis 3 der VgV andere Verfahren vorsehen, die die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gewährleisten. Ein Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ohne vorherige Veröffentlichung nach § 66 VgV darf der öffentliche Auftraggeber nur in den Fällen des § 14 Abs. 4 und 6 VgV vorsehen. Von den Vorgaben der §§ 15 bis 36 und 42 bis 65 VgV, mit Ausnahme der §§ 53, 58, 60 und 63, kann abgewichen werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen berichtet dem Bundesministerium für Gesundheit bis zum 17. April 2019 über die Anwendung dieses Absatzes durch seine Mitglieder.“
Bei der Vergabe sozialer Dienstleistungen im Rahmen von Modellvorhaben und besonderen Versorgungsverträgen an vertragsärztliche und andere heilberufliche Leistungserbringer, die den Schwellenwert in Höhe von 750.000 € erreichen oder überschreiten, können die Krankenkassen das Verfahren aber eben nur in diesen Grenzen und unter Berücksichtigung dieser Maßgaben grundsätzlich frei gestalten.
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Es gilt:
Freie Verfahrensgestaltung, „nur“ vergaberechtliche Mindeststandard – (ex-post- und ex-ante-)Transparenz – Keine Bindung an die in § 14 Abs. 1 – 3 VgV genannten Verfahrensarten – Verfahren ohne Teilnahmewettbewerb sind nur zulässig, soweit diese statthaft sind. – Es gelten die grundlegenden Verfahrensregelungen der §§ 1 – 13 VgV – Anwendbar bleiben u.a. (arg „sinnvolle Strukturierung des Verfahrens“): § 53 VgV (Formvorschriften), § 58 VgV (Zuschlag(-skriterien)), § 60 VgV (ungewöhnlich niedrige Angebote), § 63 VgV (Aufhebung des Vergabeverfahrens) – Die Regelungen zum Nachprüfungsverfahren sind anwendbar. à weitgehend formlose Verfahren, flexible Verfahrensfristen und Verfahrensgestaltung, bei Bedarf Wiederholung von Verfahrensschritten und die nachträgliche Erweiterung des Teilnehmerkreises (größtmögliche Freiheit) – aber nur marginale Unterschiede zum „Light-Regime“ für soziale Dienstleistungen (s.o.) à Sowohl die Bereichsausnahme selbst als auch die konkrete Ausgestaltung bewegt sich im europarechtlich zulässigem Rahmen (Art. 74-76 RL 2014/24/EU). Hauseigene Verfahren für Selektivverträge nach dem SGB V – III Hintergrund: (weitgehend) einheitliche Forderung aller Krankenkassen(-verbände) : weitgehend freie Verfahrensgestaltung, ohne förmliche Vergabeverfahren aufgrund der Besonderheiten der Selektivverträge nach dem SGB V / dieses speziellen Gesundheitsmarktes – Suchverfahren zur Erprobung neuer Versorgungsmodelle und Therapieansätze – nicht am Markt verfügbare, nicht standardisierbare Dienstleistungen – Die Versorgungsinhalte, Instrumente, Verfahren und Vergütungssysteme sollten dabei in einem ständigen und oft mehrjährigen Austausch zwischen den (häufig ärztlichen) Leistungserbringern und den Krankenkassen entwickelt, evaluiert und fortlaufend am konkreten Versorgungsprojekt angepasst werden können. – Leistungserbringer erhalten durch die Teilnahme an einem Selektivvertrag keinen Zugang zum Markt – Ausschreibung wir als innovationshemmend wahrgenommen
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Notwendig sind die Eröffnung einer fairen und transparenten und diskriminierungsfreien Beteiligungsmöglichkeit an einem fairen und transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren, das sich an den og Maßstäben orientiert.
III
Rechtsmittel
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Möglich ist, insbesondere
die Nichtigkeit der vergaberechtswidrig mit Mitbewerbern geschlossenen Vereinbarungen und die Vergaberechtswidrigkeit der vergaberechtswidrig mit Mitbewerbern geschlossenen Vereinbarungen
klären und
im Nachprüfungsverfahren, ggf auch gerichtlich bzw durch die EU-Kommission und den EuGH feststellen zu lassen.
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2.1
Das Nachprüfungsverfahren ist eröffnet.
Die Vergabe unterfällt nach dem Volumen dem förmlichen EG-Vergaberecht.
Es handelt sich um einen öffentlichen Auftrag.
Die gesetzlichen Krankenkassen sind nach Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) öffentliche Auftraggeber. Demzufolge müssen sie bei Ausschreibungen die Vergabevorschriften einhalten und diese europaweit durchführen (Urteil des EuGH vom 11. Juni, Rechtssache C-300/07).
Laut EuGH liegt eine überwiegende Finanzierung durch den Staat vor, wenn die Tätigkeiten der Krankenkassen hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge finanziert werden, die nach öffentlich-rechtlichen Regeln auferlegt, berechnet und erhoben werden. “Derartige Krankenkassen sind für die Anwendung der Vorschriften dieser Richtlinie als Einrichtungen des öffentlichen Rechts und damit als öffentliche Auftraggeber anzusehen”, heißt es im Urteil. Zudem entschied der EuGH, dass Verträge zwischen einer Krankenkasse und einem Hilfsmittelhersteller, die die Beratung der Versicherten beinhalten, laut Urteil als “Rahmenvereinbarungen” zu werten sind.
Man kann mit dem Nachprüfungsantrag die Unwirksamkeit des Vertragsschlusses gemäß § 135 GWB geltend machen.
Eine Feststellung der Unwirksamkeit der Auftragserteilung ist nicht gemäß § 135 Abs. 2 S. 1 GWB ausgeschlossen. Nach der genannten Vorschrift kann die Unwirksamkeit eines öffentlichen Auftrags nur festgestellt werden, wenn sie im Nachprüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen nach Information der betroffenen Bieter und Bewerber durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrags, jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht worden ist. Eine anforderungsgerechte Information der betroffenen Bieter und Bewerber über den Abschluss des Vertrags ist meistens nicht erfolgt. Die Unwirksamkeit des erfolgten Vertragsschlusses wäre festzustellen. Die Krankenkasse wäre zu verpflichten bei fortbestehender Beschaffungsabsicht ein anforderungsgerechtes Vergabeverfahren durchzuführen und eine vergaberechtskonforme Beteiligungsmöglichkeit zu eröffnen.
Der der beizuladenden Wettbewerberin erteilte Auftrag ist gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB von Anfang an unwirksam. Für die Berechtigung, ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb bzw ohne Erzeugung von Wettbewerb durchzuführen, ist meistens Nichts ersichtlich. Die Unwirksamkeit kann festgestellt werden, weil sie nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht worden ist. Dafür, dass Sie die Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt gemacht hätten und die Frist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit 30 Kalendertage nach Veröffentlichung der Bekanntmachung der Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union endete, ist meistens Nichts ersichtlich.
Durch den fehlenden Teilnahmewettbewerb bzw die fehlende Erzeugung von Wettbewerb liegt eine Verletzung in den Rechten gemäß § 97 Abs. 6 GWB vor. Es besteht ein Anspruch darauf, dass die Leistungen entsprechend den Vorschriften der §§ 97 ff. GWB und der VgV vergeben werden. Die Krankenkasse hätte gemäß § 182 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 GWB die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu tragen.
2.2
Die EU-Kommission ist mit einer Beschwerde anzurufen und die Vergaberechtswidrigkeit der geschlossenen Verträge in einem Vertragsverletzungsverfahren feststellen zu lassen.
2.2.1
Die Kommission stellt mögliche Verstöße gegen das EU-Recht aufgrund eigener Untersuchungen oder auf Beschwerden hin fest.
Die Kommission kann ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wenn ein EU-Land die Maßnahmen zur vollständigen Umsetzung einer Richtlinie nicht mitteilt oder einen mutmaßlichen Verstoß gegen das EU-Recht nicht behebt. Das Verfahren läuft in mehreren Schritten ab, die in den EU-Verträgen festgelegt sind und jeweils mit einem förmlichen Beschluss enden:
Die Kommission übermittelt dem betreffenden Land ein Aufforderungsschreiben, in dem sie um weitere Informationen ersucht. Das Land muss innerhalb einer festgelegten Frist von in der Regel zwei Monaten ein ausführliches Antwortschreiben übermitteln.
Gelangt die Kommission zu dem Schluss, dass das Land seinen Verpflichtungen nach dem EU-Recht nicht nachkommt, gibt sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Dabei handelt es sich um eine förmliche Aufforderung, Übereinstimmung mit dem EU-Recht herzustellen. In der Stellungnahme erläutert die Kommission, warum sie der Auffassung ist, dass das Land gegen EU-Recht verstößt. Sie fordert es außerdem auf, sie innerhalb einer festgelegten Frist von in der Regel zwei Monaten über die getroffenen Maßnahmen zu unterrichten.
Stellt das EU-Land daraufhin immer noch keine Übereinstimmung mit dem EU-Recht her, kann die Kommission den Gerichtshof mit dem Fall befassen. Die meisten Fälle werden allerdings vorher geklärt.
Teilt ein EU-Land der Kommission Maßnahmen zur fristgerechten Umsetzung einer Richtlinie nicht mit, kann die Kommission den Gerichtshof anrufen, damit dieser gegebenenfalls Sanktionen verhängt.
Stellt der Gerichtshof fest, dass ein Land gegen EU-Recht verstoßen hat, muss dieses Maßnahmen treffen, um dem Urteil des Gerichtshofs Folge zu leisten.
Leistet ein Land dem Urteil des Gerichtshofs nicht Folge und behebt das Problem nicht, kann die Kommission den Gerichtshof erneut anrufen.
Wenn die Kommission den Gerichtshof zum zweiten Mal mit der Sache befasst, schlägt sie die Verhängung finanzieller Sanktionen in Form eines Pauschalbetrags und/oder eines täglich zu zahlenden Betrags vor.
Bei der Berechnung dieser Sanktionen berücksichtigt sie, wie wichtig die verletzten Vorschriften sind und inwieweit das Gemeinwohl oder die Interessen Einzelner durch den Verstoß beeinträchtigt werden, über welchen Zeitraum die betreffende Vorschrift nicht angewendet wurde und ob das Land in der Lage ist, die Sanktionen zu bezahlen – wobei diese durchaus eine abschreckende Wirkung haben sollen.
Der im Urteil des Gerichtshofs festgesetzte Betrag kann vom Vorschlag der Kommission abweichen.
2.2.2
Die Krankenkassen müssen vergaberechtswidrige Verträge beenden, da der Verstoß gegen Unionsrecht in diesen Fällen andauert, bis die Erfüllung der Verträge abgeschlossen ist.
Der Gerichtshof hatte in der Rechtssache C-126/03 auf den Vortrag der deutschen Regierung als beklagter Mitgliedstaat, im Falle einer Verurteilung nicht verpflichtet zu sein, bereits geschlossene Verträge zu kündigen, zunächst nur ausgeführt: „Hierzu genügt der Hinweis, dass zwar der Gerichtshof im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 226 EG nur festzustellen hat, dass eine gemeinschaftliche Vorschrift verletzt wurde, dass aber nach Art. 228 Absatz 1 EG der betreffende Mitgliedstaat die Maßnahmen zu ergreifen hat, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben.“
In einem späteren Urteil in der Rs. C-503/04 hat der Gerichtshof konkret entschieden was das für den Mitgliedstaat im Einzelnen bedeutet.
Es sei auch gerade die Sache des jeweiligen Mitgliedsstaats, die Schritte zu ergreifen, die sich nach seiner Ansicht aus der Vertragsverletzung ergeben, sowie die Angemessenheit dieser Schritte zu rechtfertigen, wenn sie von der Kommission in Frage gestellt werden.
Vergaberechtswidrig abgeschlossene Dienstleistungsaufträge müssen dann von den öffentlichen Auftraggebern der Mitgliedstaaten gekündigt bzw. aufgehoben werden.
Es wird gefolgert, dass der öffentliche Auftraggeber dann zur außerordentlichen Kündigung nach § 313 bzw. § 314 BGB (ggf. analog) berechtigt und nach Art. 260 Abs. 1 AEUV verpflichtet ist.
Dabei ist allerdings zu beachten, dass sich der Bieter auf die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit berufen kann, mithin Schadensersatzansprüche gegen den Mitgliedstaat infolge der vorzeitigen Vertragsbeendigung möglich sind. Der Mitgliedstaat hingegen kann diese Einwände nicht geltend machen, um die Nichtdurchführung eines eine Vertragsverletzung feststellenden Urteils zu rechtfertigen und sich dadurch seiner unionsrechtlichen Verantwortung zu entziehen.