Die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 195 BGB wird mangels grob fahrlässiger Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB grundsätzlich nicht schon dann in Lauf gesetzt, wenn es der Geschädigte oder sein Wissensvertreter unterlässt, Krankenhausunterlagen auf ärztliche Behandlungsfehler hin zu überprüfen
(Festhalten an BGH, Urteil vom 16. Mai 1989 – VI ZR 251/88, NJW 1989, 2323). BGH, Urteil vom 26. Mai 2020 – VI ZR 186/17 – OLG Koblenz LG Koblenz
Tatbestand
Die Parteien streiten, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, darüber, ob Ansprüche des Klägers gegen die Beklagten zu 1 bis 3 (nachfolgend: Beklagten) wegen ärztlicher Behandlungsfehler im Zusammenhang mit seiner Geburt verjährt sind.
Der Kläger wurde am 22. November 2003 mit einem Gewicht von 5.100 g im Krankenhaus der Beklagten zu 1 geboren. Die Geburt wurde zunächst von der Beklagten zu 3 als der diensthabenden Stationsärztin geleitet. Später übernahm die Beklagte zu 2 als gynäkologische Chefärztin die Geburtsleitung. Während der Geburt trat eine Schulterdystokie auf, weshalb die Beklagte zu 2 die Entscheidung zu einer vaginaloperativen Entbindung traf. Nach der Entbindung war der linke Arm des Klägers mit Hämatomen besetzt und schlaff. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden eine obere und untere Parese des Plexus brachialis links sowie eine Claviculafraktur diagnostiziert. Die Mutter des Klägers fertigte am 4. August 2006 ein umfangreiches Gedächtnisprotokoll, in dem sie die Ereignisse von ihrer Aufnahme ins Krankenhaus der Beklagten zu 1 bis zur Geburt des Klägers detailliert beschrieb und Kritik an der angewandten geburtshilflichen Technik sowie daran übte, dass eine Risikoaufklärung unterblieben und keine Kaiserschnittentbindung angeboten worden seien. Auf Aufforderung der Prozessbevollmächtigten des Klägers übersandte die Beklagte zu 1 ihnen am 22. September 2006 die aus 91 Seiten bestehende Dokumentation über den stationären Aufenthalt der Mutter des Klägers. Eine Seite des Geburtsprotokolls, die den Zeitraum von der Aufnahme der Mutter bei der Beklagten zu 1 am Nachmittag des 19. November 2003 bis um 13.40 Uhr am Folgetag dokumentiert, fehlte zunächst und wurde erst im Mai 2008 übermittelt.
Mit Schreiben vom 9. August 2007 erhoben die damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers Ansprüche gegen die Beklagte zu 1, deren Haftpflichtversicherer in einem Schreiben vom 20. August 2007 ankündigte, Einsicht in die Behandlungsunterlagen zu nehmen sowie ärztliche Stellungnahmen einzuholen und sich anschließend zur Deckungs- und Haftungsfrage zu äußern. Am 26. Oktober 2007 lehnte der Haftpflichtversicherer eine Haftung der Beklagten ab. Am 13. November 2007 baten die Prozessbevollmächtigten des Klägers um eine nochmalige Überprüfung der Sach- und Rechtslage und um die Überlassung weiterer Unterlagen. Der Haftpflichtversicherer übersandte am 5. Mai 2008 die fehlende erste Seite der Dokumentation des stationären Aufenthalts der Mutter des Klägers unter Hinweis darauf, man halte an der bereits im Schreiben vom 26. Oktober 2007 bekundeten Auffassung fest. Auf nochmalige Aufforderung vom 2. Juni 2008 übersandte der Haftpflichtversicherer am 5. August 2008 weitere Unterlagen. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers reagierten darauf mit Schreiben vom 12. Juni 2009.
Mit der am 29. Oktober 2010 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger von den Beklagten als Gesamtschuldnern die Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 40.000 €, Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten und die Feststellung der Pflicht zum Ersatz der materiellen und weiteren immateriellen Schäden. Das Landgericht hat die Beklagten wegen ärztlicher Behandlungsfehler, nämlich der Weiterverfolgung des vaginalen Entbindungskonzepts durch die Beklagte zu 2 und der unterlassenen Ermittlung des Geburtsgewichts durch die Beklagte zu 3, sowie die Beklagten zu 1 und 3 darüber hinaus wegen Aufklärungsfehlern weitgehend antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der Beklagten, die dieses Urteil ausschließlich mit der Begründung angegriffen haben, die vom Landgericht zuerkannten Forderungen seien verjährt, hatte zunächst keinen Erfolg.
Auf die vom Berufungsgericht in seiner Entscheidung vom 23. September 2015 zugelassene Revision der Beklagten hat der Senat das Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (Senatsurteil vom 8. November 2016 – VI ZR 594/15, VersR 2017, 165). Der Senat hat ausgeführt, dass von einer Verjährung der auf Aufklärungsfehler gestützten Schadensersatzansprüche auszugehen sei, da die Verjährung bezogen auf diese Ansprüche mit Beginn des Jahres 2007 begonnen habe, nachdem die Mutter des Klägers insbesondere ausweislich ihres Gedächtnisprotokolls schon im Jahre 2006 die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB erforderliche Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen gehabt habe. Hinsichtlich der geltend gemachten Behandlungsfehler könne nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass die für den Verjährungsbeginn notwendige Kenntnis von einem Behandlungsfehler erst im Laufe des Jahres 2007 erlangt worden sei. Die dazu erforderlichen Feststellungen seien nachzuholen.
Das Berufungsgericht hat nunmehr auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat zugelassenen Revision.
Gründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind die vertraglichen und deliktischen Ansprüche des Klägers aufgrund von Behandlungsfehlern ebenfalls verjährt. Der Kläger hätte die notwendige Kenntnis von den Behandlungsfehlern, vermittelt durch seine Prozessbevollmächtigten, bereits im Jahre 2006 erlangen müssen, dies grob fahrlässig aber nicht getan.
Die Eltern des Klägers hätten den Rechtsanwälten U., H. und S. mit schriftlicher Vollmacht vom 26. Juli 2006 “in Sachen K.” eine Prozessvollmacht erteilt. Bereits am Vortag hätten sie diesen gegenüber eine Schweigepflichtentbindung für die Beiziehung von Krankenunterlagen u.a. abgegeben. Die Beklagten hätten einen Schriftsatz der Kanzlei U. vom 4. Dezember 2006 vorgelegt, dessen Briefkopf die drei oben genannten Rechtsanwälte ausweise. In diesem Schriftsatz hätten die Anwälte des Klägers in einem mit dem vorliegenden Rechtsstreit in keinem Zusammenhang stehenden Verfahren Schadensersatzansprüche wegen eines behandlungsfehlerhaften Geburtsmanagements mit der Folge einer Plexusparese nach schwerer Schulterdystokie angemeldet. Die Rechtsanwälte seien zwar nicht verpflichtet gewesen, im vorliegenden Rechtsstreit eine eigene medizinische Recherche durchzuführen, ihnen sei aber ohne medizinische Recherche aus einem anderen Verfahren bekannt gewesen, welche Umstände abstrakt zu einer Erhöhung des Risikos einer Schulterdystokie führten, und sie hätten auch als medizinische Laien allein durch Lektüre der seit Ende September 2006 vorliegenden Krankenunterlagen feststellen können, dass konkret bei der Geburt des Klägers mehrere dieser Kriterien erfüllt gewesen seien.
Als deutliche Risikofaktoren für das Auftreten einer Schulterdystokie würden in dem Schriftsatz die unzureichende Abschätzung des Geburtsgewichts, erkennbare fetale Makrosomie, exzessive maternale Gewichtszunahme, vorhergehende Geburt eines makrosomen Kindes und mütterliche Adipositas benannt. Den Rechtsanwälten seien bereits seit 2006 sowohl aufgrund des Gedächtnisprotokolls der Mutter als auch aufgrund der mit Schreiben vom 22. September 2006 übermittelten Dokumentation Tatsachen bekannt gewesen, auf deren Grundlage eine Abschätzung für ein erhöhtes Risiko einer Schulterdystokie hätte erfolgen können. Dem Arztbrief vom 2. Dezember 2003 lasse sich die bei der Mutter vorliegende Adipositas per magna ebenso entnehmen wie die Makrosomie des Klägers. Dass bereits zuvor ein makrosomes Kind geboren worden sei und die Erwartung bestanden habe, auch der Kläger werde ein großes Kind, habe sich aus dem Gedächtnisprotokoll ergeben. Damit hätten die Rechtsanwälte durch einen einfachen Blick in die Behandlungsunterlagen feststellen können, dass drei der in ihrem Schriftsatz vom 4. Dezember 2006 genannten Kriterien bei dem Kläger sicher vorgelegen hätten.
Weiter habe sich den Behandlungsunterlagen kein Hinweis auf eine Abschätzung des Geburtsgewichts entnehmen lassen. Durch Lektüre der Behandlungsunterlagen hätten die Anwälte erfahren können, dass bei dem Kläger eine Schulterdystokie vorgelegen habe. Es stelle eine besonders schwere Verletzung der von ihnen zu erwartenden Sorgfalt dar, von den die Ansprüche begründenden Umständen keine Kenntnis genommen zu haben, ihr Handeln sei damit grob fahrlässig. Es sei ihnen bekannt gewesen, dass die Geburt des Klägers im Jahr 2003 erfolgt sei. Dass der Ablauf des Jahres 2006 für die Verjährung möglicher Ansprüche entscheidend sein könne, sei von ihnen zu berücksichtigen gewesen. Spätestens als sie am 4. Dezember 2006 das Anspruchsschreiben in der anderen Sache gefertigt hätten, sei daher zu verlangen gewesen, durch einen Blick in die Behandlungsunterlagen und das Gedächtnisprotokoll der Mutter zu klären, ob das Vorliegen der Kriterien zu bejahen sei. Die Rechtsanwälte hätten danach bereits im Dezember 2006 eine Feststellungsklage einreichen oder eine Verjährungsverlängerung mit den Beklagten vereinbaren müssen.
Der Kläger könne sich auch nicht darauf zurückziehen, dass Rechtsanwalt S. mit der Bearbeitung des Mandats beauftragt gewesen sei, während Rechtsanwalt U. das Verfahren bearbeitet habe, in dem der Schriftsatz vom 4. Dezember 2006 gefertigt worden sei. Dies übersehe, dass alle drei damals in der Kanzlei tätigen Rechtsanwälte mit der Ermittlung und Geltendmachung der Ansprüche beauftragt gewesen seien.
II.
Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann die Verjährung von Schadensersatzansprüchen des Klägers wegen der genannten ärztlichen Behandlungsfehler im Zusammenhang mit seiner Geburt nicht bejaht werden. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Prozessbevollmächtigten des Klägers hätten bei pflichtgemäßer Bearbeitung des Mandates bereits im Jahre 2006 die Kenntnis von Tatsachen gewinnen müssen, die den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten der Beklagten als naheliegend erscheinen ließen, und ihre Unkenntnis sei Folge grober Fahrlässigkeit, beruht auf Rechtsfehlern.
1. Gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB beginnt die hier maßgebliche Verjährungsfrist von drei Jahren mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Kläger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
a) Hinsichtlich ärztlicher Behandlungsfehler kann die nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners nicht schon dann bejaht werden, wenn dem Patienten oder seinem gesetzlichen Vertreter lediglich der negative Ausgang der ärztlichen Behandlung bekannt ist. Er muss vielmehr auch auf einen ärztlichen Behandlungsfehler als Ursache dieses Misserfolgs schließen können. Dazu muss er nicht nur die wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs kennen, sondern auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn als medizinischen Laien ergibt, dass der behandelnde Arzt von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach dem ärztlichen Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren (vgl. Senatsurteile vom 8. November 2016 – VI ZR 594/15, VersR 2017, 165 Rn. 13; vom 10. November 2009 – VI ZR 247/08, VersR 2010, 214 Rn. 6; vom 23. April 1991 – VI ZR 161/90, VersR 1991, 815, juris Rn. 10; jeweils mwN). Diese Kenntnis ist erst vorhanden, wenn die dem Anspruchsteller bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners und auch die Ursache dieses Verhaltens für den Schaden als naheliegend erscheinen zu lassen (vgl. Senatsurteil vom 8. November 2016 – VI ZR 594/15, VersR 2017, 165 Rn. 13 mwN).
b) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es hinsichtlich der Kenntnis der für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebenden Umstände grundsätzlich auf die Person des Anspruchsgläubigers selbst an (vgl. dazu und zum Folgenden BGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 – IX ZR 168/17, ZIP 2019, 35 Rn. 13 mwN). Allerdings muss sich der Anspruchsgläubiger entsprechend § 166 Abs. 1 BGB und mit Rücksicht auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch die Kenntnis eines Wissensvertreters zurechnen lassen. Wissensvertreter ist jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten. Dazu gehört etwa die Verfolgung eines Anspruchs des Geschäftsherrn (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 – IX ZR 13/12, WM 2013, 180 Rn. 26). Zugerechnet wird auch das Wissen eines Rechtsanwalts, welchen der Geschädigte mit der Aufklärung eines bestimmten Sachverhalts, etwa der Frage eines ärztlichen Behandlungsfehlers beauftragt hat (Senatsurteil vom 8. November 2016 – VI ZR 594/15, VersR 2017, 165 Rn. 14). Die auf eine derartige Beauftragung begründete Zurechnung umfasst nicht nur das positive Wissen des Wissensvertreters, sondern auch seine leichtfertige oder grob fahrlässige Unkenntnis (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 – IX ZR 168/17, ZIP 2019, 35 Rn. 13 mwN).
2. Das Berufungsgericht kommt unter Heranziehung dieser Grundsätze zutreffend zu dem Ergebnis, dass allein die Vorwürfe der Mutter des Klägers im Gedächtnisprotokoll nicht auf ihre in diesem Sinne ausreichende Kenntnis eines vom Standard abweichenden ärztlichen Verhaltens bereits im Jahr 2006 schließen lassen. Auch soweit das Berufungsgericht auf den Kenntnisstand der Rechtsanwälte abstellt, denen die Eltern des Klägers im Juli 2006 Prozessvollmacht erteilt hatten, nimmt es die gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 BGB erforderliche Kenntnis von den Behandlungsfehlern begründenden Tatsachen erst für August 2007 an, da diese in dem Anwaltsschreiben vom 9. August 2007 mit hinreichender Deutlichkeit angesprochen worden seien. Eine entsprechende positive Kenntnis der Rechtsanwälte bereits im Jahr 2006 konnte das Berufungsgericht nicht feststellen. Die Revisionserwiderung geht fehl, wenn sie meint, dass trotz der ausdrücklichen Verneinung der positiven Kenntnis der Rechtsanwälte eine solche anzunehmen sei, weil das Berufungsgericht festgestellt habe, dass die mit Schreiben vom 22. September 2006 übersandten Unterlagen von beiden Rechtsanwälten tatsächlich zur Kenntnis genommen worden seien. Diese Feststellung hat das Berufungsgericht gerade nicht getroffen, sondern bezogen auf die Behandlungsunterlagen ausgeführt, dass es eine besonders schwere Verletzung der zu erwartenden Sorgfalt darstelle, von den die Ansprüche begründenden Umständen keine Kenntnis genommen zu haben.
3. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen jedoch die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht bezüglich der Behandlungsfehler eine grob fahrlässige Unkenntnis der Prozessbevollmächtigten des Klägers für das Jahr 2006 annimmt (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB).
a) Die tatrichterliche Beurteilung, ob einer Partei der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis zu machen ist, unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht dahin, ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt, bei der Beurteilung des Verschuldens ganz wesentliche Umstände außer Acht gelassen oder gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl. nur Senatsurteil vom 10. November 2009 – VI ZR 247/08, VersR 2010, 214 Rn. 12; BGH, Urteile vom 25. Oktober 2018 – III ZR 122/17, WM 2018, 2271 Rn. 13; vom 18. Mai 2017 – I ZR 21/16, juris Rn. 68; jeweils mwN). Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs ist die Würdigung des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft.
b) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können.
Dabei bezieht sich die grob fahrlässige Unkenntnis ebenso wie die Kenntnis auf Tatsachen, auf alle Merkmale der Anspruchsgrundlage und bei der Verschuldenshaftung auf das Vertretenmüssen des Schuldners, wobei es auf eine zutreffende rechtliche Würdigung nicht ankommt. Ausreichend ist, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen hätte zugemutet werden können, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage – sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage – zu erheben (vgl. Senatsurteile vom 25. Juli 2017 – VI ZR 433/16, NJW 2017, 3510 Rn. 34; vom 8. Dezember 2015 – VI ZR 37/15, VersR 2016, 551 Rn. 14; BGH, Urteile vom 27. Mai 2008 – XI ZR 132/07, VersR 2009, 685 Rn. 32; vom 9. November 2007 – V ZR 25/07, NJW 2008, 506 Rn. 15).
c) Nach gefestigter Rechtsprechung besteht für den Gläubiger keine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 10. November 2009 – VI ZR 247/08, VersR 2010, 214 Rn. 15; BGH, Urteil vom 15. März 2016 – XI ZR 122/14, NJW-RR 2016, Rn. 34; jeweils mwN). Dies gilt auch in Arzthaftungsfällen (Senatsurteil vom 28. Februar 2012 – VI ZR 9/11, NJW 2012, 1789 Rn. 18 mwN). Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, kommt es vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an. Das Unterlassen einer Nachfrage ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Geschädigten als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein und sich ihm der Verdacht einer möglichen Schädigung aufdrängen (vgl. Senatsurteil vom 10. November 2009 – VI ZR 247/08, VersR 2010, 214 Rn. 16).
Nach der Rechtsprechung des Senats trifft den Geschädigten im allgemeinen keine Informationspflicht. Der Patient und sein Prozessbevollmächtigter sind nicht verpflichtet, sich im Hinblick auf einen Haftungsprozess medizinisches Fachwissen anzueignen (vgl. Senatsurteile vom 10. Oktober 2006 – VI ZR 74/05, VersR 2007, 66 Rn. 24; vom 8. Juni 2004 – VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 254, juris Rn. 28; vom 19. Februar 2019 – VI ZR 505/17, BGHZ 221, 139 Rn. 15; vom 24. Februar 2015 – VI ZR 106/13, NJW 2015, 1601 Rn. 19; Senatsbeschlüsse vom 28. Mai 2019 – VI ZR 328/18, NJW 2019, 3236 Rn. 11; vom 12. März 2019 – VI ZR 278/18, VersR 2019, 1450 Rn. 8; jeweils mwN).
d) Letzteres hat das Berufungsgericht auch nicht verkannt, sondern auf das ausweislich des Schriftsatzes vom 4. Dezember 2006 in einem anderen Verfahren gezeigte bereits vorhandene medizinische Fachwissen der Prozessvertreter des Klägers abgestellt, obwohl der Kläger, worauf die Revision hinweist, geltend gemacht hat, dass Rechtsanwalt S. mit der Bearbeitung des Mandats des Klägers beauftragt worden sei, während der Schriftsatz in dem anderen Verfahren von Rechtsanwalt U. stamme.
Sollte die Entscheidung des Berufungsgerichtes dahin zu verstehen sein, dass mit der Erteilung eines Gesamtmandates an eine Sozietät (vgl. Peres/Senft/Schmid, Sozietätsrecht, 3. Aufl., § 6 Rn. 11; vgl. Senatsurteil vom 6. Juli 1971 – VI ZR 94/69, BGHZ 56, 355, 359, juris Rn. 8) alle Sozien zu Wissensvertretern für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB werden und deshalb eine Zusammenrechnung des Wissens der Sozien zu erfolgen hat, ist darauf hinzuweisen, dass wegen der grundsätzlich anzuerkennenden Gepflogenheit, innerhalb einer Anwaltssozietät die Bearbeitung der Mandate meist einzelnen Sozien zur eigenverantwortlichen Erledigung zu übertragen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 2007 – IX ZR 218/05, BGHZ 172, 169 Rn. 15), zunächst die Frage zu beantworten wäre, welche Voraussetzungen für eine Wissenszurechnung und eine etwaige Wissenszusammenrechnung bei einer solchen am Rechtsverkehr teilnehmenden Organisation heranzuziehen sind, bei der typischerweise Wissen bei verschiedenen Personen “aufgespaltet” ist (vgl. dazu grundlegend BGH, Urteil vom 2. Februar 1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30 ff.).
Hier kann allerdings dahinstehen, ob die für den rechtsgeschäftlichen Verkehr mit juristischen Personen entwickelten Grundsätze der Wissenszurechnung und Wissenszusammenrechnung (siehe hierzu BGH, Urteile vom 8. Dezember 1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327, 330 ff.; vom 2. Februar 1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, 35 ff.; vom 13. Oktober 2000 – V ZR 349/99, NJW 2001, 359, 360, juris Rn. 14; vom 10. Dezember 2010 – V ZR 203/09, juris Rn. 16 ff.) im Rahmen der deliktsrechtlichen Haftung oder Verjährung überhaupt Anwendung finden können (vgl. Senatsurteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 23; gegen eine Übertragung jedenfalls im Anwendungsbereich des § 852 Abs. 1 BGB a.F.: Senatsurteil vom 28. Februar 2012 – VI ZR 9/11, NJW 2012, 1789 Rn. 14; vgl. auch Senatsurteil vom 27. März 2001 – VI ZR 12/00, VersR 2001, 863, juris Rn. 14 f.). Jedenfalls kann sowohl nach den für den rechtsgeschäftlichen Verkehr entwickelten Zurechnungsgrundsätzen wie nach der Rechtsprechung des Senats für Behörden und öffentliche Körperschaften, nach der auf die Kenntnis des nach der behördlichen Organisation zuständigen, mit der Vorbereitung und Verfolgung von Schadensersatzansprüchen betrauten Bediensteten abzustellen ist, das medizinische Fachwissen eines Sozius einem anderen regelmäßig nicht zugerechnet werden.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss jede am Rechtsverkehr teilnehmende Organisation im Rahmen des ihr Zumutbaren sicherstellen, dass die ihr ordnungsgemäß zugehenden, rechtserheblichen Informationen unverzüglich an die entscheidenden Personen weitergeleitet und von diesen zur Kenntnis genommen werden (vgl. BGH, Urteile vom 16. Juli 2009 – IX ZR 118/08, BGHZ 182, 85 Rn. 16; vom 12. November 1998 – IX ZR 145/98, BGHZ 140, 54, 62, juris Rn. 32; vom 15. Dezember 2005 – IX ZR 227/04, ZIP 2006, 138 Rn. 13; Beschluss vom 14. Februar 2013 – IX ZR 115/12, ZIP 2013, 685 Rn. 6). Maßgeblich ist dabei, ob unter den Umständen des konkreten Einzelfalls ein Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Vertretern möglich und geboten gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 12. November 1998 – IX ZR 145/98, BGHZ 140, 54, 62, juris Rn. 32; vom 2. Februar 1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, 35, juris Rn. 20 ff.). Die Entscheidungsträger müssen sich dann so behandeln lassen, als hätten sie das Wissen gehabt, wenn die Zeit verstrichen ist, die bei Bestehen eines effizienten internen Informationssystems benötigt worden wäre, um ihnen die Kenntnis zu verschaffen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juli 2009 – IX ZR 118/08, BGHZ 182, 85 Rn. 16). Zugerechnet wird nach der Rechtsprechung einer juristischen Person beispielsweise das Wissen auch derjenigen Organwalter und Mitarbeiter, die am Abschluss eines Vertrages selbst nicht beteiligt sind, sofern dieses Wissen bei ordnungsgemäßer Organisation aktenmäßig festzuhalten, weiterzugeben und vor Vertragsabschluss abzufragen ist (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2000 – V ZR 349/99, NJW 2001, 359, 360, juris Rn. 14). Daraus würde für eine Anwaltssozietät das Erfordernis eines effektiven Informationssystems zur ordnungsgemäßen Organisation der gesellschaftsinternen Kommunikation und des Informationsaustauschs zwischen den Sozien folgen, das in der Verpflichtung zur Führung von Handakten in § 50 Abs. 1 BRAO bereits gesetzlich angelegt ist. Für das einzelne Mandat eingebrachtes oder erworbenes Fachwissen außerhalb von Rechtskenntnissen, aus nichtjuristischen Wissensgebieten wie beispielsweise Medizin, gehörte im Regelfall aber nicht zu dem in einer Sozietät notwendig auszutauschenden und in ein Informationssystem einzuspeisenden Wissen.
bb) Stellte man in entsprechender Anwendung der Rechtsprechung des Senats zur Zurechnung von Kenntnis bei Behörden und öffentlichen Körperschaften auf die Zuständigkeitsregelung ab (vgl. nur Senatsurteil vom 4. Februar 1997 – VI ZR 306/95, BGHZ 134, 343, 348, juris Rn. 16), wäre die Kenntnis des Sozius entscheidend, der ausdrücklich vom Mandanten beauftragt – etwa durch ein personenbezogenes Einzelmandat – oder sozietätsintern mit der eigenverantwortlichen Sachbearbeitung und Tatsachenermittlung betraut worden ist. Nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Vortrag des Klägers könnte das medizinische Fachwissen von Rechtsanwalt U. nicht Rechtsanwalt S. zugerechnet werden.
e) Im Streitfall bedarf die Frage der möglichen Wissenszurechnung jedoch keiner Entscheidung, da unabhängig von etwaigem vorhandenem medizinischem Fachwissen der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis nicht mit der Begründung erhoben werden kann, die Prozessbevollmächtigten des Klägers hätten nach Eingang der Behandlungsunterlagen Ende September 2006 noch vor dem Jahresende diese Unterlagen prüfen und ihnen Hinweise auf schuldhaftes Fehlverhalten der Beklagten entnehmen müssen und können.
Nach der Rechtsprechung des Senats zu § 852 BGB a.F. kann nämlich von einem Patienten oder seinem Wissensvertreter grundsätzlich nicht erwartet werden, dass er Krankenhausunterlagen auf ärztliche Behandlungsfehler hin überprüft, es sei denn, es handelte sich um Feststellungen, die sich ohne weiteres treffen lassen, wie etwa die Feststellung der Namen der behandelnden Ärzte (vgl. nur Senatsurteile vom 29. November 1994 – VI ZR 189/93, NJW 1995, 776, 778, juris Rn. 18; vom 16. Mai 1989 – VI ZR 251/88, NJW 1989, 2323, 2324, juris Rn. 17; vgl. allgemein zur Aktenüberprüfung mit dem Ziel einer Feststellung der Voraussetzungen eines deliktischen Schadensersatzanspruchs Senatsurteil vom 9. Juli 1996 – VI ZR 5/95, BGHZ 133, 192, 199, juris Rn. 17). Daran hat sich auch durch die Neuregelung des Verjährungsrechts in § 199 BGB nichts geändert (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., D 8; MünchKommBGB/Grothe, 8. Aufl., § 199 Rn. 32).
Wie das Berufungsgericht selbst darlegt, waren den Behandlungsunterlagen Hinweise auf Behandlungsfehler nur bei einer Analyse der Dokumentation unter Heranziehung besonderen Fachwissens aus dem Bereich der Gynäkologie zu entnehmen.
III.
Das Berufungsurteil ist aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO), da weitere Feststellungen nicht gänzlich ausgeschlossen werden können.
Seiters von Pentz Oehler Klein Allgayer Vorinstanzen:
LG Koblenz, Entscheidung vom 11.03.2015 – 10 O 103/10 –
OLG Koblenz, Entscheidung vom 12.04.2017 – 5 U 403/15 –